Weltenwechsel oder: wesentlich gewesen

Ein Beitrag zum Realismus des Spekulativen
Ausstellungsdauer: 23.02.19 – 30.03.19

Bilder, Raum, Video

Mit Arbeiten von Codemanipulator®, Kinga Dunikowska, Else (Twin) Gabriel,
Astrid Köppe, Anne Rinn, Carsten Schneider
Kurator: Ralf Bartholomäus

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Im Einflussbereich der Philosophie des Spekulativen Realismus spielt das Problem eine Hauptrolle, wer denn eigentlich für uns alle spricht, für die Welt, für die Erde, auf der wir stehen. Je weiter wir unserer Herkunft bewusst werden, umso deutlicher wird uns, dass die Dinge zurückblicken auf uns und ihrer Fragen stellen: Wo wollt ihr hin und wie nur konntet ihr uns vergessen? – Ist es ein Es, was so fragt, eine Logik ohne Be- & Verwertung? Dabei sind stets genug Meinungen vorhanden. Und eine spekulativ intendierte Kunst wäre wie die kompensatorisch geeichte Feinwaage der Vernunft. Josef Vogl schon meint zum Sinn eines so verstandenen Realismus: „Man könnte sagen, dass das in philosophischer Hinsicht der Versuch ist, auf so etwas wie einen intellektuellen Goldstandard zurückzukehren. Etwas zugespitzt würde ich diese Versuche alchemistische Experimente auf dem Gebiet der Philosophie nennen.“(1)

Unsere Auswahl der Künstler dazu ist natürlich rein spekulativ: Gemeinsam ist ihnen, dass das im Werk Gesagte dessen Bedeutung selbst ist, nichts darüber hinaus, real und intentional, ohne sich bei Vermittlungen aufzuhalten. In ihren Arbeiten sprechen die Dinge „selbst“, die Worte, Töne, Gesten, Pflanzen und Tiere. Der Mensch ist sekundär, ein Überträger, dessen Ausschluss die Authentizität garantiert, für eine Aussage ohne Deutung oder, wie Deleuze sagt „hinter den Spiegel zu gehen“, den Sinn ins Werk selbst zu verlegen (²).

(1) Im Sog der Zeit. Ein Gespräch zwischen Joseph Vogl und Philipp Ekardt über Spekulation. Texte zur Kunst. Heft 93/2014 „Spekulation“, S. 109.
(2) Gilles Deleuze. Logik des Sinns. Frankfurt a.M. 1993, S. 45.

Codemanipulator
… ist ein Phantom. Man weiß nicht, wer hinter diesem Namen steckt, aber er wirkt in unsere Gegenwart, unerkannt – aus einem ungreifbaren Hintergrund (wie Gott). Er greift auch nicht direkt persönlich ein, aber seine Absichten oder Wirkungen werden sichtbar, weil er Änderungen in nur scheinbar „ewigen“ Abläufen oder Grundsätzen zulässt. Etwa in den 10 Geboten, die in einer Ausstellung vom Besucher manipuliert werden können (wie: „Du sollst nicht missbrauchen“). Oder mit einem Rechnerprogramm, in dem von ihrem wahnwitzigen Schicksal betroffene Menschen virtuell ins Leben zurückgegeben werden, unablässig. So gegen alle Vernunft an Auferstehung zu glauben, ist keine üble Idee.

Kinga Dunikowska
Sie scheint immer mit ihrem Publikum zu spielen, im schönsten Sinn, als entschwindendes Double, wie ein Grinsen ohne Katze. Wie nah liegen da doch die Spiegel, Verkleidungen und Verwandlungen, aber auch die Errichtung von scheinbar realen Welten, in denen sich nichts weiter verliert als unsere festen Überzeugungen. Alles andere ist Gewinn, Lohn des Staunens, auch wenn wir die Täuschung durchschauen: die Freude am Entdecken ist (wieder)-gewonnen… Die Künstlerin wird so zur Fee, die sie auch im wirklichen Leben ist, huscht vorbei, um uns zu locken: Kommt näher, kommt näher, ihr findet, was ihr seid. Nichts wird entdeckt als dieser Schein, wie eine Flamme ohne Kerze, Wachstum ohne Grund und Boden.

Else (Twin) Gabriel
= einzige legitime Vertreterin der (dualen) plastischen Planung, somnambule Sinn-&-Form-Wandlerin, kosmische Torwächterin der Vernunft. Die Künstlerin verkörpert tatsächlich mehr Produktionsformen als normalerweise in einer Biografie unterzubringen sind. Und es werden mehr! Dazu im Widerspruch steht nur scheinbar, dass sie selbst, „individuell“ gar nicht in Erscheinung tritt, sondern den Epiphanien des gänzlich Anderen ihren Platz einräumt, im Guten wie im Bösen. – „Es ist, als müsste der Satz Ich ist ein anderer bis zur Unkenntlichkeit erweitert werden, bis er in den Satz mündet Ich sind die andern“ (Durs Grünbein zu Else Gabriels „Zustand Beschleunigten Schweigens“, Katalog Galerie Weißer Elefant 1991).

Astrid Köppe
Ihre Motive bleiben rätselhaft, selbst wenn man ihr beim Zeichnen zusehen kann. Sie sind, um es mit einem ebenso schleierhaft technischem Begriff zu bezeichnen: Polymorph disparat. Das erste Wort nennt die Formen vielgestaltig, aber ihre Deutungen zugleich mannigfaltig. Dazu sind sie ihren Vorlagen ungleichartig und mit herkömmlichen Begriffen unvereinbar. Tatsache ist dabei, dass alle Bilder einen realen Anlass oder „Ideengeber“ haben, was aber eben schon in Skizzen und noch mehr in den großformatigen Emaillen zu enigmatischen Gebilden führt, die ihre Idee selbst verschleiern, konsequent ohne Titel bleiben und über deren Benennung/Adoption durch andere die Künstlerin sich stets von Herzen freut.

Anne Rinn
… ist grundsätzlich an Verständigung interessiert. Darum ändert sich ihre manuelle und verbale Ausdrucksform stets in Angleichung an den/die Gesprächspartner. Das waren schon extraterrestrische Intelligenzen, die Verfasser von diffizilen Bedienungsanleitungen oder aktuell Gehörlose, deren Kommunikation die Künstlerin bis in subtile metonymische Zweige verfolgt und erlernt. Unsere Ausstellung zeigt Ergebnisse dieser Zusammenarbeit, die mit kalkulierten Übertragungsfehlern operiert, gar den Sinnverlust zur Aufwertung des Motivs einsetzt. Der Sinn ist daher nicht in der Übersetzung verloren, sondern gerade darin chiffriert (lost in distinction). Der Schlüssel steckt im Hypothalamus, beschriftet: „mind the gap“.

Carsten Schneider
Dieser nun versteht sich eher als modernen Jäger und Sammler, denn als gewöhnlichen Künstler. Er ist mehr Buchstaben-Jongleur als Autor, Äquilibrist (Gleichgewichtskünstler), aber weniger Statiker denn Statistiker des Stammelns und Schnaufens. Und ihn interessieren die Atem-Pausen, die Momente des Nicht-Agierens. So kam er in seiner Entwicklung zum Musiker, der er auch sein könnte, auf die Idee, andere für sich agieren zu lassen. Drei Jahre und damit auch drei Generationen von Vogel-Populationen bedurfte es, bis die beflügelten Sänger auch entschlossen genug waren, sich auf Instrumente einzulassen, ganz klassisch stimuliert mit Körnern und Garben. Dass es unter den kleinen Alleskönnern auch unterschiedliche stilistische Neigungen gibt, sollte verständlich sein.

 

en/
A mayor interrogation within the philosophical sphere of the Speculative Realism is the
question concerning the agents, or spokespeople, of our world and its inhabitants. The clearer
we perceive our point of departure, the more aware we become of our desired and partly
forgotten objectives. Yet, what is It that poses the questions of belonging and oblivion?
Is it amerely logical act without a search for validation and realisation?

Our thematic selection of the artists is a purely speculative act. One thing they all share in
common is their uncovered artistic method, mediating their clear intentions without further
illuminations. In this procedure the human conveyor acquires a secondary meaning, and
various actors -the words, tunes, gestures, plants and animals- speak for themselves;
providing the visitor with an authentic transcript of the aimed subtext.

Weitere Informationen

codemanipulator.com
kingadunikowska.eu
twingabriel.de/Twin_Gabriel
astridkoeppe.blogspot.com
www.anne-rinn.de
carstenschneider-kunst.de