„Re–plis“ Anne Gathmann, Bettina Khano, Antonia Nordmann, Sinta Werner, Markus Wüste

Re–plis  22. 3. – 17. 4. 2014  
Anne Gathmann, Bettina Khano, Antonia Nordmann, Sinta Werner, Markus Wüste

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„Das Problem ist nicht, wie eine Falte beenden, sondern wie fortsetzen, die Zimmerdecke durchqueren lassen, sie ins Unendliche tragen.“ Gilles Deleuze

In seinem bemerkenswert schönen Buch ‚Die Falte’* [franz.: Le Pli], das auch Anregung für diese Ausstellung war, hat sich Gilles Deleuze mit dem deutschen Philosophen Leibniz beschäftigt, als Paradigma seiner Zeit und deren Kunst: dem Barock. Dieser Text, der eigentlich aus drei separaten Teilen oder Themen besteht, kann wiederum selbst als signifikantes Beispiel für das Denken seiner, des Autoren (und somit unserer) Zeit verstanden werden. Dies auch in dem Sinn, dass er kein wirklich „typischer Deleuze“ ist, sondern, ganz seiner Thematik entsprechend, durchzogen von Umbrüchen und Verschränkungen der (stringent, aber nicht autonom) sortierten Abschnitte.

Das Buch selbst ist ein Geflecht von Faltungen, ein Gewebe von Drapierungen, das mehr ver- als enthüllt, aber substantiell zugleich mehr birgt als verbirgt. Einmal nur – als Beispiel wohl, das den Gegensatz deutlich macht – „verfällt“ der Autor der assoziativen Reihung, die sein Schreiben sonst so betörend charakterisiert, denn „…einerseits gibt es alle diese Materiefaltungen, denen gemäß man im Mikroskop die Lebewesen sieht, Kollektivitäten durch die Falten des Staubs hindurch, den sie selbst hervorrufen, Armeen und Herden, das Grüne durch den Staub von Gelb und Blau, Eitelkeiten oder Fiktionen, wimmelnde Löcher, die unsere Unruhe beständig nähren, unsere Langeweile oder unsere Benommenheit“ (S.55).

„Und dann gibt es andererseits“, sagt Deleuze im Anschluss, „Falten in der Seele, …man sieht sie nicht mehr, man liest“. Das ist es, was uns hier interessieren soll: dieses Lesen, das Einfühlung ist, Verständnis, Empathie, in der Unterscheidung des Sichtbaren und des Lesbaren – und deren Einheit. „Lesen“ ist zu verstehen als eigentlich kreative (kreatürliche?) Tätigkeit unseres Erwachens, zu der Frage, wer wir eigenltich in unseren Körpern sind, wenn wir schöpferisch sind.

Dabei ist das relativ schmale Buch (im Deutschen mit ganzen 200 Seiten) so prall durchzogen von gravierenden Einsichten, dass jede Besprechnung nur punktuell sein kann – ihm daher praktisch widersprechend… Dies ist keine beiläufige Einschränkung, der wir unterliegen, sondern betrifft etwas Grundsätzliches: „Die Einheit der Materie, das kleinste labyrinthische Element, ist die Falte, nicht der Punkt, der nie ein Teil, sondern immer nur das einfache Ende einer Linie ist.“ (S. 16) Es geht Deleuze um die Wissenschaft der Materie als dem Ganzen, von dem er meint, ein japanischer Philosoph würde das Origami, die Kunst des Papierfaltens, als Modell dafür wählen.

Das kommt uns entgegen, weil wir den Bezug von der Philosophie zur Kunst genau in diesem Rahmen sehen: künstlerische Faltungen als Ausdruck einer Idee des Seins. Im Sinne von Leibniz/Deleuze: Zwischen Seele und Körper verläuft „die Falte“. Sie ist die Brücke über die das Subjekt in die Welt kommt, aber umgekehrt auch die Welt ins Subjekt, das Phänomen ins intentional gestimmte Bewußtsein. Nur so können seelische Spannungen sich darstellen und nachvollzogen werden in körperlichen Objekten. Die Falte ist es, wodurch wir über uns hinausgehen, worüber wir uns ausdrücken, nichts interpretierend, sondern aus uns heraus inspirierend, die Materie vergeistigend. – Uns geistig und sinnlich zum Ausdruck bringen, das nennen wir nicht zufällig: uns ent-falten.
Ralf Bartholomäus

* Gilles Deleuze, Die Falte. Leibniz und der Barock, Frankfurt am Main (Suhrkamp), 2000.

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Anne Gathmann: Einfügen/Ausschneiden (02/03), 2014
Zwei Strukturen, gegenläufige Bewegungen. Die eine beruht auf der anderen, spricht aber von einer abweichenden Figur.
Anwesenheit bei gleichzeitigem Rückzug ist die Doppelstruktur alles Bestehenden. Die sich unendlich veräußernde Materie vollzieht in gleichem Maße eine Bewegung der Verinnerlichung. Die Skizze eines Verständnisses muss einen unvollständigen Entwurf zeichnen.
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Bettina Khano: Screen1-4, 2014
Vier Paravents, die sich durch den Raum schlängeln, stellen sich uns in den Weg. Um vor Blicken und Wind zu schützen, Inseln des Privaten und Intimen zu schaffen, markieren diese Raumtrenner eine Grenze, auch wenn diese fragil und beweglich bleibt. Der Paravent faltet ein Außen in das Innere eines Raumes ein und umgekehrt. Die gewohnte Trennlinie eines räumlich einsehbaren Davor und eines verborgenen Dahinter verschwimmt, wenn Glasflächen unvermutet Blicke zulassen, die im nächsten Moment durch eine Spiegelung zurückgeworfen werden. Zugleich gerät der Körper selbst ins Visier, wenn er reflektiert, gespiegelt und geschluckt und mehrfach gebrochen in die Arbeiten aufgenommen wird. Dieser Moment der räumlichen Entgrenzung und Irritation hat zur Folge, dass die Besucher immer wieder auf die Erfahrung des eigenen Körpers, den Prozess seiner Verortung und Wahrnehmung im Raum, zurückgeworfen werden.bettina khano 8_kl

Antonia Nordmann: Banner
Dieses Bild (resp. Banner) hat durch Faltungen zahlreiche skulpturale Veränderungen durchlaufen, die auf dessen Vorder- und Rückseite durch sich überlagernde Farbflächen dokumentiert sind. Auf Grund seiner Größe sind auch die architektonischen Bedingungen und Begrenzungen des Ortes der Herstellung in die Komposition des Bildes eingeschrieben. Als Fortsetzung dieses Arbeitsprozesses entfaltet sich das Bild während der Aktion „Lauf“ in den Stadtraum und wird so zu einem flüchtigen Element der Collage im öffentlichen Raum.
www.antonianordmann.de
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Sinta Werner & Markus Wüste: Die Laune des Raumes
Bei dieser Installation wird der Ausstellungs-Raum an sich zum ausgestellten Objekt. Wie eine Haut löst sich die Rauhfasertapete von der Wand und lässt den Raum organisch und weich erscheinen. Mit der Auflösung der festen Raumkoordinaten verschwinden auch die Koordinaten der Orientierung. Es werden paradoxerweise gleichzeitig Eindrücke von Geborgenheit und Instabilität hervorgerufen.
Das Bild vom Zimmer, welches mit Leinwand ausgespannt ist, die wiederum von Falten durchzogen ist, geht zurück auf Leibniz und steht metaphorisch für die Erläuterung des Bewusstseins. „Und um die Ähnlichkeit noch zu vergrößern“, schreibt Leibniz, „müsste man annehmen, dass in dem Zimmer eine Leinwand ausgespannt wäre, um die Bilder aufzunehmen, dass diese Leinwand aber keine ganz ebene Fläche bildete, sondern durch Falten (die eingeborenen Erkenntnisse) unterbrochen wäre“. Später: „Denn wir empfangen nicht allein Bilder oder Spuren in unserem Gehirn, sondern bilden auch neue, wenn wir komplexe Ideen betrachten“ (Leibniz: „Abhandlungen über den menschlichen Verstand“).
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