10.10. – 7. 11. 2015 ἄφελε πάντα / Tu alles weg 100 Jahre Schwarzes Quadrat

Samuel Beckett, Cécile Dupaquier, Anne Gathmann, Anja Gerecke, Veronike Hinsberg, Andreas Schmid, Arne Schreiber, Elisabeth Sonneck, Matthias Stuchtey, Tim Stapel, Tim Trantenroth, Tilman Wendland

Eröffnung: Samstag, 10. Oktober 2015 um 19 Uhr

Selten wohl hat ein einzelnes (vom Œuvre des Künstlers separiertes) Werk so viel Ruhm und gleichzeitiges Unverständnis erfahren wie das 1915 erstmals ausgestellte Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch. Dabei reichen die Extreme der Rezeption von nahezu kultischer Verehrung bis zu völligem Unverständnis. Doch liegt sein Wert nicht etwa irgendwo „in der Mitte“, sondern auf einem anderen und sehr weitem Feld: dem der Emazipation; und da auch wieder in disparaten Zusammenhängen, nämlich ideellen, ästhetischen, geschichtlichen …

In diesem Sinne, dem emanzipatorischen, liegt die eigentliche Bedeutung jener Arbeit, die wir würdigen wollen. Und genau in dieser Tradition kann die Haltung der Künstler verstanden werden, die hier weniger den Geniestreich Malewitschs nachahmen, als in seinem Geist arbeiten wollen. Damit wird auch die solitäre Stellung des Schwarzen Quadrates etwas relativiert, denn was uns heute an Malewitsch interessiert, sind seine Ideen und Visionen, die viel ausgreifender und bewegender sind als jenes berühmte Einzelstück.

Je weiter wir zeitlich einem Kunstwerk entfernt sind, umso eher erliegen wir der Versuchung, ihm unsere, dem Werk fremde Weltsicht unter- oder aufzulegen. Diese Gefahr ist zum Glück bei Malewitsch gering, da er selbst sich dezidiert und unmissverständlich zu Intentionen und Erfahrungen seiner Kunst geäußert hat. Das Schwarze Quadrat nannte er selbstbewusst die „nackte Ikone“ seiner Zeit und beschwor seine prophetische Rolle als Avantgardist mit Sätzen wie: „Ich erwarte meine eigene Transformation“.

Zu einer so selbstbewußten Position kommt man nur, wenn man sich als Teil einer geistigen Tradition sehen kann, die im Falle Malewitschs durchaus philosophischer und spiritueller Natur war. Er sah sich als Künder einer größeren Wahrheit als nur der dem Alltag geschuldeten und sich selbst verschleißenden. Bei Plotin etwa, mit dem der Künstler wohl vertraut war, konnte er lesen: „Der Geist ist frei auf Grund seiner selbst“ (Enneade VI 8).

In Referenz auf Plotin haben wir auch den Titel unserer Ausstellung gewählt: Tu alles weg. Diese letzten Worte seines wohl berühmtesten Textes (Enneade V 3) können als die absolute Essenz seines metaphysischen Denkens verstanden werden. Aber wir lesen sie auch als Motto und Motivation einer Ausstellung, die der Re-Rezeption eines Werkes gilt, das womöglich mehr über unsere Zeit hinaus deutet, als der gesunde Menschenverstand und die moderne Physik momentan erfassen können. Auch in der künstlerischen Umdeutung eines scheinbar so simplen Gegenstandes wie des Schwarzen Quadrates erweisen sich Freiheit, Mut und Esprit des Schöpferischen nur in der Fähigkeit, alles zuvor Gewusste hinter sich zu lassen: „Wie kann denn Freiheit herrschen, wenn das Handeln einem Zweck dient?“, fragt Plotin (VI 8).

 Ralf Bartholomäus

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