07.01. – 04.02.2017 Peter Kees – Arkadische Landnahmen

07.01. – 04.02.2017 – Arkadische Landnahmen

Intervention von Peter Kees

Eröffnung am Freitag, 7. Januar 2017, um 19 Uhr

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N 46° 54’ 4.77’’/ E 8° 19’ 2.42’’ Arkadischer Quadratmeter auf dem Aecherlipass im Kanton Obwalden, Schweiz

Seit 2013 besetzt Arkadiens Botschafter Peter Kees in verschiedenen Ländern Europas jeweils einen Quadratmeter Land und erklärt diese okkupierte Fläche zu arkadischem Hoheitsgebiet. Die arkadischen Quadratmeter sind nicht mehr national gebunden; fremde Staatsgewalt darf Personen dort nicht belangen.

Derartige Landbesetzungen erfolgten bisher auf deutschem, finnischem, schweizerischem, polnischem, italienischem, österreichischem, niederländischem, tschechischem, belgischem und griechischem Staatsgebiet. Am 22. Juli 2016 wurde versucht, der türkischen Regierung über deren Generalkonsulat in München die Materialien für einen solchen arkadischen Quadratmeter zu überreichen. Erfolglos, das Türkische Konsulat verweigerte die Annahme und lies Peter Kees des Platzes verweisen.

In der galerie weisser elefant präsentiert Kees nun erstmals in einer Ausstellung diese Verortungen Arkadiens. – Der Topos Arkadien durchzieht die europäische Kulturgeschichte seit der Antike als Gegenentwurf zur Verderbtheit der Zivilisation.

Ein Quadratmeter Arkadien repräsentiert einen Quadratmeter Freiheit, einen Quadratmeter Zufluchtsort, einen Quadratmeter Glück und ist ein Akt, der Fragen nach dem Idealzustand von Gesellschaft und Individuum stellt.

Integriert in die Ausstellung ist eine kleine Arkadische Bibliothek – aus der Sammlung des Philosophen Klaus Prätor.

Presseresonanzen

Tagesspiegel „Ein Quadratmeter Glück“ // 30.01.2017

Zitty // 03/2017

Berliner Zeitung // 05.01.2017

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Kleine Sachkunde Arkadien

von Ralf Bartholomäus

In den von Gustav Schwab seit 1938 wunderschön nacherzählten „Sagen des klassischen Altertums“ ¹ tritt Arkadien eigentlich nur als die bis heute gleichnamige Landschaft Griechenlands in Erscheinung, dies aber stets mit einem beachtlichen Unterhaltungswert. Was sich darin des Seltsamsten begibt, lohnt allein die Lektüre dem Stichwort Arkadien folgend.

Schon in sehr früher Zeit berichtet der Götterbote Hermes zur Erfindung eines Musikinstruments, das man Hirtenrohr nennt, von einer schönen Baumnymphe mit Namen Syrinx, die in den Schneegebirgen Arkadiens wohnte. Die Waldgötter und Satyrn verfolgten sie, „aber immer wußte sie ihnen zu entschlüpfen, denn sie scheute das Joch der Vermählung“. Letztlich wurde auch der mächtige Gott Pan ihrer ansichtig, näherte sich ihr und warb um ihre Hand.

Die Nymphe floh bis zu einem Fluss, „dessen Wellen doch tief genug waren, der Jungfrau den Übergang zu wehren“. Sie kann sich nur retten, indem sie sich in ein Schilfrohr verwandelt, ehe sie in die Hand des Verfolgers fiele. Und dem bleibt letztlich nur, in seiner Enttäuschung auf dem Rohr – wörtlich: „dem geliebten Schilfe“ – zu blasen: „Der Zauber dieses Wohllautes tröstete den getäuschten Gott“ (hier hätte gewiss auch Freud seine Freude!). Und seiher heißt die lieblich tönende Flöte wie die Nymphe Syrinx – oder für uns eben auch: Pan-Flöte.

Zum Ende seiner Berichte erzählt Schwab von drei Schwestern, die so reizvoll erschienen, dass alle Helenen sie zu Gattinnen begehrten. Sie aber waren letztlich eitel und stolz. In einem Tempel der Götterkönigin Hera spotteten sie gar, dass der so schmucklos sei, das Haus ihres Vaters aber viel prunkvoller. Die Göttin „schlug daher die gottlosen Jungfrauen mit schrecklichem Wahnsinn, also daß sie sich selbst für Kühe hielten und brüllend durch das Land Arkadien liefen.“

Die Legende um Arkadien als Ort der Glückseligkeit selbst ist jüngeren Ursprungs, auch wenn die Sehnsucht nach einem Goldenen Zeitalter bis auf Hesiods ‚Werke & Tage’ zurückführt (7./8. Jh. v.C.). In alten Überlieferungen sind wesentliche Elemente geprägt: Frauen, Hirten, Tiere, Gräber, Musik und Wahn… Unsere heutige Vorstellung Arkadiens als eines idyllischen, gar utopischen Ideals aber ist erst eine Erfindung der Romatik, nicht als historischer Epoche, sondern Periode phantasievoller Malerei und Literatur, beginnend mit den barocken Gemälden von Giovanni Francesco Berbieri und Nicolas Poussin (um 1616–1640). In deren Bildern mit arkadischen Hirten erscheint auf einem Grabstein oder Sarkophag die Inschrift Et in Arcadia ego, was seither, auch durch die wenig reflektierte Widmung Goethes, als Aussage gedeutet wurde, man selbst sei in jenem ersehnten Arkadien gewesen, das den anderen nur als Ahnung erschien.

Erst durch den bedeutenden deutsch-amerikanischen Kunsthistoriker Erwin Panofsky ² wurde um die Mitte des 20. Jahrhunderts durch genaue ikonografische Studien und korrekte grammatische Übertragung der wirkliche Sinn der Inschrift enthüllt oder erinnert: Auch ich bin in Arkadien kündet der Tod selbst als Memento mori. Er warnt den Leichtgläubigen, der sich in Sicherheit einer Idylle (was auch ein Hirtenlied bedeuten kann) wähnt: Pass auf, auch ich bin hier! – Panofskys These ist seither, soweit wir sehen können, nicht wesentlich erschüttert, sondern selbstredend ins allgemeine Verständnis integriert worden.

Dies hat für die Deutung der Arbeit von Peter Kees eine wesentliche Erweiterung zur Folge. Denn mit diesem Hintergrund wird verständlich, dass es ihm nicht nur um die Provokation einer rechtswidrigen Inbesitzname von „fremdem“ Land (wenn auch marginal-symbolisch) geht, nicht nur um Fragen von Freiheit, Zuflucht und Glück, Individualität und Gemeinschaft, sondern in dem hier angedeuteten geistesgeschichtlichen Kontext viel wirkungsmächtiger um das Über- oder Weiterleben der wesentlichen menschlichen Ideen, die wir Phantasie nennen können, Hoffnung oder einfach alles umfassend: Humanität. umanität Hhh

Ganz am Rande sei ergänzt, dass Kees sich mit seiner Inbesitznahme von Territorien auch in der Tradition einer Kunst sieht, die in Grenzverletzungen zwischen legalem und illegalem Engagement operiert. Sein Künstlerkollege Hans Winkler hat dazu vor einigen Jahren eine gründlich recherchierte, ausführlich informative Publikation verwirklicht. ³

Wenigstens das besonders schöne Beispiel eines hypothetischen Arkadiens in jüngerer Geschichte soll noch erwähnt werden: der Paranoia City Verlag in Zürich hat 1989 unter dem Autoren-Pseudonym P.M. einen Reiseführer nach Amberland veröffentlicht, mit Fotos, Karten, Tourismus-Infos und zahlreichen Erfahrungsberichten, die man in diesem wenig erforschten Territorium brauchen kann. Vor allem durch letztere wird schnell offenbar, dass es sich um eine Art Gegen-Schweiz handelt, um ein Land, in dem Gastfreundschaft als einzige Währung und Tauschhandel als wichtigster Wirtschaftszweig gilt, die beste Zeit mit Müßiggang verbracht wird, Straßenverkehr und Infrastruktur weitgehend unbekannt sind und Wachstum nicht als ökonomischer, sondern biologischer und ethischer Begriff verstanden wird. Das Buch war schnell vergriffen. Der Verlag aber wurde von großen Reiseunternehmen verklagt: wegen Geschäftsschädigung, weil die Leute nur noch Reisen nach Amberland buchen wollten. So bleibt das schöne Fazit aktuell: „Entweder die Welt verambert oder sie und Amberland gehen unter“. Und trotz Panofskys kluger Deutung erhält sich so der Traum von einer besseren Welt, die wir auch Arkadien nennen.

Wir danken sehr herzlich Dr. Klaus Prätor für die Bereitstellung seiner arkadischen Bibliothek, die effektiv dem Austausch und der Bildung weit über arkadische Hoheitsgebiete hinaus dienen kann.

Zitate:

¹ Die schönsten Sagen des klassischen Altertums. Nach seinen Dichtern und Erzählern von Gustav Schwab. Leipzig 1971. – Seine Nacherzählung hatte den pädagogischen Hintergrund, die oft sehr drastischen und freizügigen Szenen auch einem jüngeren Publikum zugänglich zu machen. Dies ist zwar gelungen, hat aber – wie unsere Beispiele belegen – dem bukolisch-derben Ausdruck der Sagen gar nicht geschadet.

² Erwin Panofsky: Et in Arcadia ego. Poussin und die Tradition des Elegischen. Hrsg. v. Volker Breidecker. Friedenauer Presse, Berlin 2002. Auch in: Erwin Panofsky: Sinn und Deutung in der Bildenden Kunst (1978/2002).

³ legal / illegal [Wenn Kunst Gesetze bricht / Art beyond Law] Hrsg.: NGBK Berlin 2004; Idee: Hans Winkler.

4 P.M.: Amberland. Ein Reisebuch. Paranoia City Verlag, Zürich 1989.