Die Spur der Steine. Für Hannah & Neil Goldstein.

Die Spur der Steine. Für Hannah & Neil Goldstein.

Der 1939 in Litauen geborene Jude Neil Goldstein ist nach einer lange währenden Odyssee durch Amerika und Europa 1968 in Schweden heimisch und zum Künstler geworden. Seither war er auch immer wieder zu Besuch in Berlin, im März ’89 zum ersten Mal mit seiner gerade acht Jahre alten Tochter Hannah.
1991 begann Neil Goldstein an Schwedens Westküste nach Steinen zu suchen, die dort für die „Soldatenhalle“ in Hitlers Irrsinnsprojekt der Welthauptstadt „Germania“ bis 1941 geschlagen und gar bis zum Februar ’45 (!) vom Deutschen Reich finanziert wurden. Neil Goldstein hat diese Steine stets in einer konzeptuell sachlichen Weise fotografiert, die sie zeitlos, monumental und zugleich verletzlich erscheinen lassen.
Alle seine Aufnahmen sind konsequent grobkörnig in Schwarz/Weiß gehalten, mit einer statuarischen Würde, die umso schwerer wiegt, als ihre Objekte einer nichtswürdigen Bestimmung entgangen sind. Manche der Bilder zeigen die Steine in Form von liegenden Stelen, die uns heute seltsam vertraut erscheinen, da sie überraschend wie Vorlagen für das Denkmal der ermordeten Juden in Berlin erscheinen, dessen realisierter Entwurf aber erst 1997 vorgestellt wurde.
1993 wurden solche Steine erstmals in Schweden auf einem öffentlichen Platz ausgestellt. Danach ging Neil Goldstein auch in Berlin auf die Suche nach den „Nazi-Steinen“, die er auch fand und dann 1999 in der für skulpturale Ausstellungen prädestinierten Klosterruine in Mitte gezeigt hat, zusammen mit den auf Glas entwickelten Fotos. Die Steine wirkten dort wie zufällig aufgefunden und durch die leicht erhöhte Lagerung fast schwebend.
Der Künstler selbst ist unmittelbar darauf an Krebs erkrankt und schon 2001 in Schweden verstorben.
Seit 2007 hat nun auch Hannah Goldstein regelmäßig Berlin besucht und ist 2011 endgültig hierher gezogen. Seither hat sie gewissenhaft die Arbeit ihres Vaters fortgesetzt und wiederum nach den von ihm fotografierten Steinen gesucht. Manche davon hat sie tatsächlich gefunden, bis hin zum Garten eines bekannten Berliner Bildhauers (der sie nicht bearbeitet, weil sie an sich schon einen so starken Charakter haben).
Besonders aber hat sie natürlich interessiert, die Fotografien zu finden, die in Berlin geblieben waren. Vom Kurator der Klosterruine hat sie den Tipp bekommen, hier in der Auguststraße im Keller des ehemaligen Kulturhauses zu suchen, wo die Transportkiste ihres Vaters einst untergestellt wurde. So ist sie zu unserer Galerie gekommen. In Gegenwart der Künstlerin habe ich dann den Hausmeister angerufen, der zuvor im Kulturhaus gearbeitet hatte. Und der hat nur gesagt: Geht doch mal in deinen Heizungskeller. Und dort stand sie tatsächlich – genau unter der Galerie; eine blaue Kiste, mit Namen und Adresse von Hannah Goldsteins Vater Neil.
Allein dieser Fund war wundervoll genug. Dass die Kiste leer war, konnte die Freude der Entdeckung nur wenig trüben. Die Fotos waren auf Glas entwickelt gewesen, das wohl bei einem der Transporte zerbrochen ist. Aber der Kurator der einstigen Ausstellung hatte eines der Bilder von Neil Goldstein geschenkt bekommen. Und dies hat er an Hannah Goldstein zurückgegeben. Dafür möchten wir Manfred Strehlau sehr herzlich danken.
Unsere Ausstellung vereint also Arbeiten von Neil Goldstein mit denen seiner Tochter, die auf seinen Spuren ein gemeinsames Projekt geschaffen hat. Sie zeigt Artefakte und Bilder aus dem Archiv des Vaters und dokumentiert, wie sie auf der Suche nach seinen Spuren in Berlin ihr Zuhause gefunden hat. Manche ihrer Entdeckungen können wir sogar selbst noch im Stadtbild finden, wie etwa das Fundament zum Ehrenmal für die gefallenen sowjetischen Soldaten im Treptower Park, das aus eben jenen schwedischen Steinen besteht. So erhellt diese Ausstellung in einer sehr persönlichen Sicht fast nebenbei auch ein weniger bekanntes Kapitel der Berliner Geschichte.
Ralf Bartholomäus